Beschreibung
Paola wird wütend, wenn Anton im Flugzeug neben ihr schnarcht, aber dass er sie seit Jahren betrügt, interessiert sie gar nicht. Niemals würde sie seine Anzugtaschen nach verräterischen Hinweisen durchwühlen. Viel zu anstrengend. Denn es gibt Dinge, die sie beide verbinden. Voller Humor, offen und ehrlich geht die Bestsellerautorin von »Frauen die Prosecco trinken« der Frage nach, was denn ein gelungenes Leben ausmacht.
Autorenportrait
Marlene Faro, geboren 1954, promovierte Historikerin, lebt als Autorin in Wien. Ihr Roman "Frauen die Prosecco trinken" war ein riesiger Bestseller, der auch fürs Fernsehen verfilmt wurde.
Leseprobe
Meine Urgroßmutter verblutete auf einem Leiterwagen, am Rand eines Feldes irgendwo bei Znaim, während der Geburt ihres zwölften Kindes. Die Stadt Znaim, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur österreichisch-ungarischen Donaumonarchie gehörte, heißt heute Znojmo und liegt in Tschechien, wo die Wiener Proleten wie verrückt hinfahren, um billiges Mehl und billigen Zucker zu hamstern, gerade so, als ob noch immer oder schon wieder Krieg wäre. Das ist alles, was ich über meine Urgroßmutter weiß, ihr Ende in einer roten Lache, ja es ist nicht einmal überliefert, ob das Kind überlebt hat, das seine Mutter das Leben gekostet hat. Wir sind keine Familie mit Ahnenporträts in Öl an der Wand, und diesen neuen Trend, sich mit Hilfe von Internetsuchmaschinen einen Stammbaum zuzulegen, also den finde ich einfach nur peinlich. Jedenfalls ist die älteste Tochter meiner Urgroßmutter, meine Großmutter also, mit sechzehn Jahren nach Wien in Dienst gekommen. So hat man das genannt, damals, als die jungen Frauen aus den k. u. k. Kronländern, aus Galizien und der Bukowina und Böhmen und Mähren in die funkelnde Reichshauptstadt mit ihren Ringstraßenpalais gekommen sind, um sich hier bei einer Gnädigen in einem großbürgerlichen oder gar hochherrschaftlichen Haushalt zu verdingen. Meine Großmutter ist bloßfüßig, also barfuß nach Wien gekommen, das ist eines der wenigen Details aus ihrem frühen Leben, von dem ich weiß, und an der Hand hat sie ihre zwei Jahre jüngere Schwester, die Sophie, geführt. Wenn man ein vierzehnjähriges Dienstmädel in spe war, dann ist der Name Sophie natürlich kurz ausgesprochen worden, nicht mit so einem lang gedehnten »iiii«, wie das heutzutage in den Montessori-Kindergärten schick ist. Die Tante Sophie, die damals noch nicht meine Tante war, logo, hat ebenfalls keine Schuhe besessen. Sie hat dann sehr bald eine Stelle in Innsbruck gefunden und geheiratet, einen, der nicht gut zu ihr war, getrunken und sie geschlagen hat. Genaues weiß man nicht, die Schwestern haben nur wenig Kontakt gehalten, Plaudereien am Telefon sind für beide jenseits aller finanziellen Möglichkeiten gewesen, und die Tante Sophie hat sich ihr Leben lang mit dem Lesen und Schreiben schwergetan. Jedenfalls hat das viele Jahre später ihre einzige Tochter beim Begräbnis erzählt, die Tochter hat sich verständlicherweise ziemlich geniert für diesen Umstand. Meine Großmutter, also die große Schwester von der Tante Sophie, hat das Lesen über alles geliebt. Mit Hilfe von Kreuzworträtseln und Groschenromanen hat sie sich beharrlich die deutsche Sprache beigebracht, niemals habe ich auch nur ein einziges Wort Tschechisch aus ihrem Mund gehört, nicht einmal in den Wochen, als es mit ihr zu Ende ging, wo doch angeblich wieder die Kindheit über einen kommt, aber meine Großmutter wollte nirgendwo anders sein als in Wien, hier und jetzt. Jedenfalls, wie sie damals als sechzehnjähriges Mädel in die Stadt gekommen ist, hat sie ein Riesenglück gehabt und gleich eine Stellung als Bedienerin, also als Putzfrau, im k. u. k. Kriegsministerium am Stubenring gefunden. Knapp fünfzig Jahre später ist das Riesenreich Österreich-Ungarn ja zu einem schnitzelähnlich geformten Kleinstaat geschrumpft und Kriegsministerium gibt es selbstverständlich keines mehr. Dafür sind heute im Regierungsgebäude am Stubenring so friedlich klingende Ämter wie das Ministerium für soziale Sicherheit und Konsumentenschutz, das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit und das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft untergebracht. Gleich anschließend an den riesenhaften Gebäudekomplex befinden sich die Universität und das Museum für Angewandte Kunst, kurz MAK genannt, mit dem schicken Kaffeehaus samt seinen eleganten weiß lackierten Bugholzsesseln. Aber ich kann nicht über den Stubenring flanieren oder im MAK einen Caffè Latte trinken, ohne dass mir meine Großmutter einfällt und ihr schreckliches Erlebnis damals im k. u. k. Kriegsministerium. Meine Großmutter hat nämli Leseprobe